Verspätung bis Du auf die Welt gekommen - Du hattest schon immer eine andere Zeitrechnung...
Drei Jahre ließest Du mich warten - ich war dabei das Thema "noch ein Kind" endgültig zu den Akten zu legen
Da meldest Du Dich an - mein Genusskind, mein letztes, mein ewiges Kind
Nicht das jetzt der Eindruck entsteht die andern drei wären keine liebevoll erwarteten Kinder- ganz im Gengenteil !
In der 8. Schwangerschaftswoche habe ich Dich beim Ultraschall zum ersten mal gesehen - bis zur 12. Woche habe ich meine Freude für mich behalten. Wenn man so lange wartet wird man vorsichtig..
Ich hatte ja schon eine gewisse Narrenfreiheit durch das dritte Kind erworben aber sich nochmal nach 9-12 Jahren, wo doch die Kinder aus dem gröbsten raus waren, sich "so was anzutun" stieß oft auf Unverständnis. Es war mein Ding, mein Weg...
Bei allen Schwangerschaften ging es mir blendend - und diese hatte doch eine andre Qualität.
Ich wusste das Du mein letztes Kind seien wirst und so genoss ich jeden Tag.
Es war der 9. Tag über den errechneten Termin und irgendwie wurde ich unruhig. Ich hatte das Gefühl das etwas nicht stimmte - nüchtern betrachtet war gar kein Anlass zur Sorge, die Kontrolluntersuchungen alle zwei Tage waren ohne Befund.
So verbrachte ich den Sonntag mit vielen Tränen und einem Gewaltmarsch um vielleicht doch etwas anzustupsen - aber nix!
Am Montagmorgen dann wieder Kontrolle beim Gynäkologen - alles in Ordnung Herztöne gut, Fruchtwasser klar, keine Wehen!
Ich bin dann, als ich wieder zu Hause war, in den Garten gegangen und habe gewühlt bis zum frühen Abend und da waren sie dann endlich da - die leichten Wehen.
In der Klinik angekommen hatte ich zwar Wehen die aber leider nicht über eine gewisse Stärke hinaus gingen und so kam was kommen musste "der Wehentropf".
Das hat Dir und Deinem Kreislauf aber überhaupt nicht gepasst und so wurden die Wehen wieder runter gespritzt und der Not-Kaiserschnitt wurde vorbereitet...
So schnell Deine Werte schlecht wurden - so schnell waren sie auch wieder im grünen Bereich
Nachdem man Dich zur Überwachung verkabelt hatte hieß es Abwarten und auf den Monitor starren.
Irgend wann sind wir wohl eingeschlafen - ich wachte dann gegen Morgen mit ziemlichen Wehen wieder auf. Schnell war der Punkt erreicht, wo man denkt, dass man auf der falschen Veranstaltung ist und gerne nach Hause möchte - 20 Minuten später warst Du da!
Ein total entspanntes Baby mit super Apgar-Werten. An diesem Morgen um 3:41 Uhr war die Welt noch in Ordnung - aber es sollte anders kommen...
Mit 14 Wochen bekamst du das endogene Syndrom = Neurodermitis und das ziemlich heftig - nun gut ich wollte eh stillen.
Bei der U4 machte ich unseren Kinderarzt darauf aufmerksam das Du dich nicht drehst und auch nicht lautierst. Er führte seine Untersuchung fort und bestätigte das Deine Reflexe verzögert sein. Ab diesem Zeitpunkt bekamst Du Krankengymnastik nach Voita und Bobath - gefallen hat Dir das überhaupt nicht. Auch Deine taktile Wahrnehmung war gestört und so kam die Ergotherapie hinzu.
Mit ca. einem Jahr wurde dann in das U-heft vermerkt: mental Retadiert
Aber da mussten wir durch - sozusagen als Aufwärmübung...
Mit 15 Monaten kamen epileptische Anfälle, oft mit hohem Fieber verbunden, hinzu. Als Deine Einstellung mit den Barbiturate anfing habe ich tagelang geheult - hatte ich jetzt ein total apathisches Kind das 18 Stunden schlief und doch auch die Reize von "außen" brauchte. Es gab aber keine Alternative denn die Grand Mal Anfälle häuften sich und die damit verbundenen Klinikaufenthalte waren ja nun auch nicht für Deine Entwicklung gut.
Nun gut man kann ja fördern , man ist engagiert, es ist sehr früh festgestellt worden - alles dies wurde meine Mantra für die nächsten Jahre...
Deine Kindergartenzeit haben wir mit einem "Rauswurf " gestartet. Ein Kind das mit 4 Jahren noch nicht 100% trocken ist stört den Ablauf und überhaupt "Der ist soooo langsam"
zwei Ortschaften weiter haben wir einen sehr schönen integrativen Kindergarten gefunden.
In unserem Land wird relativ viel für die Frühförderung getan - wie gesagt für die Frühförderung
Kommt das Kind ins schulpflichtige Alter wird das was investiert wurde nicht weiter fortgesetzt. Zu mindestens war das bei uns der Fall. Kindergarten, Kinderarzt und Ergotherapeutin waren auch der Meinung das eine integrative Beschulung die beste Form für Dich sei. Nicht so die Schule in die Du gehen solltest - keine Mittel, kein ausgebildetes Kollegium!
So musstest Du in die Vorklasse einer Lehrnhilfeschule - ein Sammelbecken für nicht "normal" beschulbare Kinder. Ein Umfeld was (allen) Kindern nicht gut tut.
Es handelt sich hauptsächlich an der Schule um Migranten- und Kinder aus einem sehr schwachen sozialen Hintergrund, Sie alle werden Ghettorisiert und haben in unserer Gesellschaft kaum noch eine Chance!
Es ist eine Schande wie dort das gesellschaftliche Elend verwaltet wird - damit meine ich nicht die Arbeit der Lehrer und Erzieher...
Nach fast zwei Jahren an dieser Schule kam der Wechsel in eine praktisch Bildbaren-Schule
Für Dich ein guter Weg - endlich konntest Du in Deinem Tempo lernen und bekamst das Gefühl auch "Leistungsträger" zu sein. Für mich war es ein nicht so leichter Gang, hätte ich Dich doch lieber an einer Waldorfschule gesehen. Es hat nicht sollen sein...
und heute
wirst Du schon 17 Jahre alt
mit einer geistigen Entwicklung zwischen 6 (lesen,schreiben) bis 14 (soziales Verhalten) Jahren.
und ab heute lautet das neue Mantra: lösen und loslassen
Das ist ja schon bei unseren „normalen“ Kindern ein Kraftakt...
Wenn ich an Deine Zukunft denke ist mir oft (meist) nicht wohl dabei - deshalb wünsche ich Dir das Du immer Menschen an Deiner Seite haben wirst (wir leben ja nicht ewig und es gibt nichts schlimmeres wie alte Eltern mit alten Kindern) die offen und tolerant sind. Die "anders" sein nicht als Behinderung sonder als Bereicherung empfinden und Dich weiter in Deinem Leben fördern und fordern.
Das schönste Geburtstagsgeschenk hast Du Dir übrigens selber gemacht – da sitzt Du im Garten und erliest Dir das Wort „Maulwurfshügel“ eigenständig und ganz ohne unsere Hilfe
das ist so toll!
Nachtrag:
ich könnte noch so viel schreiben darüber zum Beispiel
das Du doch aller Prognosen das Fahrrad fahren gelernt hast
oder das Du heute einem oft das Ohr blutig redest - du fingst erst mit 9 Jahren an richtig zu sprechen
das Du oft viel schneller das nächste Level beim PC-Spiel erreichst wie Dein hochbegabter Bruder
wie weh es tut wenn man gesagt bekommt:“In unserer Familie gab/gibt es so was nicht“
wenn man weiß das der Berufswunsch nie erreicht werden kann
wenn man merkt je älter das Kind wird - wie weit die Schere der Integration auseinander geht
und, und, und
10 Kommentare:
Eine herzergreifende Geschichte, liebe Frau Rotkraut. Und ich gratuliere dem Geburtstagskind ganz herzlich.
Als Mutter sieht man alles mit einem besonderen Auge und an diesen Tagen lässt man gerne das Leben Revue passieren, danke für`s „Daran-teilhaben-lassen”.
Viele Grüße und einen schönen Tag Euch allen, Kerstin
Herzlichen Glückwunsch.
Das Los-Lassen und akzeptieren. Das ist so wichtig. Und so hart zu lernen.
Bewegende Geschichte. Danke dafür.
Liebe Grüße
Ich gratuliere herzlich zum Geburtstag.
Ich finde es toll, dass Du diese Geschichte aufgeschrieben hast und toll finde ich auch, wie Du mit Eurer Lebensituation umgehst. Ich bewundere das und ich weiß ja auch um Deine positive Ausstrahlung :-)
Danke, dass Du uns hast teilhaben lassen.
Wünsche Euch allen einen schönen Geburtstagstag.
Lieben Gruß
Ich kann es genau so unterzeichnen, denn wir gehen den gleichen Weg.
Wunderschön beschrieben und dicken GLÜCKWUNSCH an den GROSSEN! Er hat ja echtes Sahnewetter am heutigen Ehrentag ;-)
Herzlichen Dank, Frau Rotkraut!
Ute
Herzlichen Glückwunsch an Euer Geburtstagskind (und seine liebenswerte Mama)!
Eure Lebensgeschichte hast du wunderbar geschrieben, mit viel Herzblut und Tiefe. Ich danke dir für's Lesen dürfen.
Das mit dem Loslassen gehört sicherlich für die Zukunft auch dazu. (Ein lieber Freund und seine Frau haben vor einigen Jahren ihren Sohn sogar in ein betreutes Wohnen "los gelassen". Wenn er davon erzählt, habe ich das Gefühl, dass dies für alle eine sehr gute Lösung ist).
Euch allen einen schönen Abend, Heikeline!
Gratulation an das Geburtstagskind!
Und ganz lieben Dank, Frau Rotkraut, dass Du uns das erzählt hast.
Wie Tina schon geschrieben hat, Deine positive Ausstrahlung ist einfach toll.
Also auch Gratulation an die Rotkrautschen Eltern.
*zosch* und plötzlich sind siebzehn jahre rum. manchmal ist es erschreckend, wie schnell die zeit vergeht, oder?
die besten glückwünsche nachträglich und vielen dank fürs teilhaben lassen.
herzlichst
susan
Nachträglich allerherzlichste Glückwünsche!
Danke dafür, dass Sie die Tür einen Moment geöffnet haben. Und Hochachtung für das, was Sie leisten.
Herzliche Grüße!
ich wünsche nachträglich herzlichen glückwunsch und danke sehr für diese wunderbare lebensgeschichte - ihres kindes und damit auch die ihre! danke fürs dranteilhaben lassen.....
Ach, Mensch, da hab ich ja was verpasst!
Herzlichen Glückwunsch auch von mir!
Das hast Du schön geschrieben, Frau Rotkraut!
Und auf dem Bild sieht Dir der kleine Große ziemlich ähnlich.
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